Opening
17th August
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Das Wunder von Berlin Ein Monolog – Eine Rede
Auftragsarbeit für Iepe Rubingh
Auf den Leib geschrieben für Robert Wolfram
Von Max Schumacher max@posttheater.com
Zum Vortrag am 17.8.2002, Berlin, Hackescher Markt, Finale Version.
1
Guten Abend, Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Förderer.
Mein Name ist Iepe Rubingh. Ich bin ein Künstler aus Rotterdam in Holland. Vor drei Jahren habe ich hier am Hackeschen Markt eine Absperr-Performance gemacht, bei der wir den gesamten Verkehr lahmgelegt haben. Letztes Jahr habe ich ein Narrenschiff vorfahren lassen, um gegen die Club-unfreundliche Stimmung in Berlin zu demonstrieren.
Dieses Jahr stelle ich Ihnen etwas vor, dass weder ein Narrenstreich, noch ein Kunstwerk ist. Ich stelle Ihnen etwas besonderes vor:
Diesen Baum hier. Das Wunder von Berlin.
Ich werde mit diesem Wunder in Verbindung gebracht. Aber ich habe es nicht initiiert. Ich habe nichts mit diesem Wunder zu tun. Künstler können keine Wunder machen. Denn Wunder lassen sich nicht herstellen. Wunder haben ein Eigenleben. Wunder geschehen von selbst. Künstler können Wunder nur anschieben. Ich habe mein Bestes versucht.
Bedankt.
2
Guten Abend, Sehr geehrte Damen und Herren.
Mein Name ist Detlev Ganthen, ich bin Professor für Molekularbiologie an der Freien Universität in Berlin. Ich sitze dem Nationalen Ethikrat bei, der den Bundestag über neue biotechnische Verfahren berät.
Der Künstler Iepe Rubingh bat mich, Ihnen etwas von dem wissenschaftlichen Hintergrund von Wundern zu erzählen. Für einen Wissenschaftler gibt es kein Wunder. Es gibt nur „noch-nicht-Erklärtes“. Unsere Aufgabe, als Wissenschaflter, ist es, Wunder zu erforschen und sie damit zu entlarven. Je mehr Wissenschaft, desto weniger Wunder, so ist die Formel.
Der regnende Baum hier hinter mir ist nicht das Resultat von gentechnischer Manipulation. Er ist auch nicht die Folge von einer globalen Erwärmung. Er steht auch in keinem Zusammenhang mit den Flutkatastrophen in Tschechien und Ostdeutschland.
Ich möchte heute Abend nichts erklären, denn ich will Ihnen nicht die Illusion nehmen, daß es Wunder gibt.
Viele Wissenschaftler stellen ihre Arbeit als ein Wunder dar – das halte ich für vermessen und gefährlich. Wunder gibt es – aber nicht für Wissenschaftler.
Ich wünsche Ihnen viel Spass mit diesem Wunder und mit allen weiteren, die Ihnen widerfahren mögen. Guten Abend!
3
Guten Abend, Meine Brüder und Schwestern.schnell erklären: Ich bin das Oberhaupt der katholischen Kirche im Bistum – das ist der bischöfliche Verwaltungsbezirk – Berlin.
Ich bin vom Künstler Iepe Rubingh
Mein Name ist Georg Kardinal Sterzinsky. Ich bin der Erzbischof von Berlin. Viele von Ihnen sind eher Anhänger der Kunst als Anhänger der Religion, daher möchte ich Ihnen das gebeten worden, ob ich etwas über Wunder erzählen könne. Dem komme ich gerne nach. Wunder kommen in der heiligen Schrift immer wieder vor. Man könnte von einer Inflation der Wunder sprechen. Doch was sind Wunder? Die wunderbare Brotvermehrung? Das Pfingstwunder, bei dem plötzlich alle Aposteln aller Sprachen mächtig wurden? Die Wunderheilungen, die Jesus an Aussätzigen vollbrachte? Der brennende Dornbusch?
Man sieht – die Bandbreite an Wundern ist enorm. Ihnen gemein ist, daß der Urheber nicht immer klar ist. Läßt Gott ein Wunder geschehen? Oder verleiht er Menschen die Gabe, Wunder zu vollbringen? Wann ist ein Wunder ein Wunder? Sie sehen: Wunder sind eine umfassende Angelegenheit. Ich schließe mich meinem Vorredner in einem Punkt gerne an: Ein Wunder verlangt nach der Ratlosigkeit der Wissenschaft. Unsere Welt, in der alles erklärt sein will, scheitert an Wundern.
Wunder beweisen Gott nicht direkt, aber sie beweisen die Grenzen des Rationalismus. Ein Wunder ist immer ein Zeichen. Für was dieses Zeichen steht, ist eine Glaubensfrage. Auch, wer die Wunder vollbringt, ist eine solche Glaubensfrage.
Wunder haben aber noch eine weitere Qualität, von der hier noch nicht gesprochen wurde.
Wunder überraschen positiv. Wunder haben Zeugen, haben Zuschauer. Zu Wundern gehört, dass sie von Menschen gesehen werden. Und über diese Wunder finden sie zueinander – weil sie sich gemeinsam wundern. Wunder ermöglichen also ein anderes Wunder: das Wunder der Gemeinschaft. Und wenn ich mich hier so umsehe, bin ich glücklich mit Ihnen dieses Wunder gemeinsam erleben zu dürfem. Sie sehen: Wunder sind also im Sinne der Kirche, einer Gemeinschaft, die allen offen steht.
Vielen Dank für Ihr gemeinsames Zuhören.
4
Guten Abend, Liebe Freunde und Besucher.
Mein Name ist Robert Wolfram. Ich bin Schauspieler.
Ich möchte mich bei meinen Vorrednern bedanken. Deren Anwesenheit ist für mich gewissermaßen ein Wunder – zu welchem Anlass kann man schon mal umsonst und draußen einen Erzbischof, einen Starbiologen und einen Künstler erleben? Als Iepe mich fragte, ob ich etwas über meinen Umgang mit Wundern sagen könnte, war meinespontane Reaktion Verwunderung. Was kann ich als Schauspieler denn zu dem Thema sagen? Und was kann man nach solchen Wunder-Experten wie meine Vorredner es sind, dem Thema noch hinzufügen? Doch dann wurde mir klar: Es gibt etwas, das ist vergleichbar mit einer hölzernen Marienskulptur in einer Alpenkapelle, die plötzlich anfängt, Tränen zu vergießen:
Theater ist das Verwandeln von Menschen in andere Menschen. Und all das, was eben über Wunder gesagt wurde, stimmt: Auch im Theater entsteht das Wunder des Gemeinschaftsgefühls. Und auch im Theater werden die Grenzen des Rationalismus aufgezeigt.
Zum Schluß möchte ich Iepe danken: Ich durfte heute Abend gleich vier verschiedene Menschen sein. Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was mir dabei geholfen hat. Ich kann es Ihnen sagen. Viele von Ihnen haben diese Reagenzgläser schon in ihren Händen. Für die, die noch keine haben, gibt es dort drüben einen Stand, wo sie zum Selbstkostenpreis verkauft werden. Füllen Sie Ihre Gläser mit dem besonderen Regen dieses Wunderbaumes. Er bewirkt Wunder.
Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen – und zum Wohl!